Limoux (Aude) – und die rätselhafte Kapelle der Augustiner

Limoux, eine kleine, quirlige Gemeinde in Südfrankreich, liegt am ausgeuferten Flussbett der Aude, ungefähr zwanzig Kilometer südlich von Carcassonne. Die Geschichte der Stadt geht bis auf das Jahr 844 zurück, als Karl der Kahle Limoux der nahegelegenen Abtei Saint-Hilaire übertrug. Im 10. Jahrhundert zählte Limoux zur Grafschaft des Razès. Im 13. Jahrhundert – der Zeit der Katharer – wurde der Ort von Simon de Montfort eingenommen, dem Anführer des Albigenserkreuzzuges. Montfort übergab Limoux seinem treuen Ritter Lambert de Thury. Im Jahr 1296 zählte Limoux dann zur französischen Krone. Dies nur kurz zur Geschichte …

Limoux und die Blanquette
Ein Glas dieses exzellenten Schaumweins in einer der gemütlichen Bars auf der Place de la République sollte man sich schon gönnen, wenn man Limoux besucht. Hier ist nämlich die Heimatstadt der Blanquette, erfunden von den Mönchen der benachbarten Abtei Saint-Hilaire, und gekeltert aus einer Gutedeltraube, die hier wächst.

Übrigens: In Limoux serviert man Ihnen die Blanquette gerne mit einem kleinen Teller Grieben, d.h. ausgelassenem Schweinespeck!

Limoux und sein Karneval
Die Stadt ist nicht zuletzt durch ihre Karnevalsumzüge berühmt geworden, wobei sich hier die Saison über zwei Monate erstreckt. Von Mitte Januar bis Mitte März finden an jedem Samstag und Sonntag spektakuläre Umzüge statt, bei denen man auch die geheimnisvollen weißen Pierrotkostüme bewundern kann.
Die Traditionen, in denen früher die örtlichen Müller eine Rolle spielten, reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Leider ging es dabei nicht immer “lustig” zu!
Emmanuel le Roy Ladurie schreibt über den Karneval von Limoux folgendes:

“Vom 16. bis 20. Jahrhundert hat der Karneval des Languedoc (Montpellier, Limoux), ganz wie der römische, in völligem Einklang mit dem damaligen Katholizismus, die unglücklichen Juden oder Marranen* der Gegend verspottet …”

*Marranen: Spanische Juden und Muslime, die unter Zwang zum Christentum bekehrt wurden.

Doch nun zum eigentlichen “Schatz” von Limoux – der rätselhaften Augustiner-Kapelle

Der Bettelorden der Augustiner, benannt nach dem Kirchenvater Augustinus von Hippo, wurde im Jahr 1244 in Rom gegründet. Erste Mönche kamen bereits im Jahr 1306 nach Limoux, wo der Orden rasch an Ansehen und Bedeutung gewann: Eine Kirche wurde gebaut, ein Kloster und eine Schule errichtet – sowie jene kleine “Kapelle des Ordens der Augustiner”, die äußerlich heute ein eher bescheidenes Dasein fristet – eingequetscht zwischen zwei neueren Häusern.
Das Altarbild, der Hochaltar und die Kanzel stammen noch aus dem Jahr 1695 und stehen seit 1970 unter Denkmalschutz.

Kurzbeschreibung des Portals:

Direkt über dem Eingang verläuft ein schöner Fries mit Akanthusblättern. Die beiden Heiligenfiguren oberhalb der Fabeltiere zeigen (rechts) Barbara mit dem Turm, (links ?). Im steinernen Schnitzwerks des Giebelfeldes befindet sich, getragen von zwei Engeln, ein Wappen mit der Christuskrone und zwei brennenden Herzen.
Dem ersten Portal folgt ein zweites aus Holz, das die lateinische Inschrift trägt: DOMUS MEA DOMUS ORATIONIS EST – und damit an eine der Inschriften vor der Eingangstür der Magdalenenkirche in Rennes-le-Château erinnert: DOMUS MEA DOMUS ORATIONIS VOCABITUR.

Diese (unvollständigen) Inschriften stammen aus zwei verschiedenen Quellen, besagen aber ungefähr dasselbe: “Mein Haus ist ein Bethaus … ihr aber habt’s gemacht zu einer Räuberhöhle.

Folgen Sie mir nun ins Innere der rätselhaften Kapelle, die mit ihren farbenprächtigen Wandbemalungen und Gemälden nicht wenige Parallelen zur Dorfkirche Sainte Marie-Madeleine in Rennes-le-Château aufweist, und zugleich an die Basilika Notre-Dame-de-Marceile (nahe Limoux) erinnert.

Alle Fotos können durch Anklicken vergrößert werden, (bei Interesse unabdingbar!)

Die nächsten drei Fotos

Fußbodenmosaik mit herrlichen Fünfzack-Sternen, die aber auch Lilien darstellen können.
Säulen aus rotem Marmor aus Caunes, Goldverzierungen, kniend die Heilige Philomena mit dem Anker
Bunte Wandbemalung, Fenster Maria Himmelfahrt, Wappen mit Freimaurersymbolen, Monogramm “BS”, Silberdisteln als Symbol für Kraft

Der Höhepunkt in der Augustiner-Kapelle von Limoux
ist das Altarbild eines anonymen Malers.
– Der Versuch einer Deutung –

Die Fotos können durch Anklicken vergrößert werden!

Erst als ich meine Fotografie aus dem Jahr 2006 (links) daheim bearbeitete, erkannte ich, dass es sich bei dem Gemälde hoch oben im Altarbild, um eine Kreuzigungsdarstellung handelt – und um die Geschichte des Heiligen Augustinus (354-430 n. Chr.). Erleuchtet vom Heiligen Geist, der als Taube über ihm schwebt, widerfährt dem römischen Bischof und Kirchenlehrer sein wahres Bekehrungserlebnis. Er legt Bischofsmütze und Stab ab, kniet nieder und unterwirft sich Christus.
Doch es befindet sich noch jemand auf diesem Bild: Eine junge Frau, die ihr Kind stillt. Spontan denkt man an die Mutter Gottes mit dem Jesuskind – nur nicht in diesem Kontext, also sitzend vor ihrem erwachsenen gekreuzigten Sohn, den sie zeitgleich als Kind auf dem Schoß hält.

Leben und Tod als Gegenpol?

Was hat sich der unbekannte Maler, der wohl im Auftrag der Mönche arbeitete, dabei gedacht? Gewiss hatte er sich zuvor eingehend mit dem Heiligen Augustinus befasst. Demzufolge wusste er, dass Augustinus in Karthago eine langjährige Verbindung zu einer Konkubine unterhielt, die ihm einen Sohn gebar, den er “Adeodatus” nannte (“Der von Gott gegebene”). Kenntnis hatte der Maler bestimmt auch darüber, dass sich Augustinus zeitweise der “ketzerischen” Lehre der Manichäer anschloss. Die Manichäer waren strenge Dualisten*, die an die widerstreitenden Kräfte von Gut und Böse glaubten, von Geist (Gott) und Materie, von Licht und Finsternis. Die demzufolge auch Leben und Tod als Gegensatz sahen. Und gerade dies spiegelt das rätselhafte Gemälde für mich wider: Leben und Tod als Gegenpol – wie eben auch das Göttliche und das Weltliche. Und in diesem Sinne kann auch die Darstellung der eher schlichten jungen Mutter mit Kind als weltliches Pendant zur Mutter Gottes mit dem Jesuskind gesehen werden.
Dass für den Künstler der Heilige Augustinus die wohl wichtigste Person auf dem Gemälde war, bezweifelt vermutlich niemand, trägt er doch als einziger einen Heiligenschein.

*Dualismus: philosophisch-religiöse Lehre von der Existenz zweier Grundprinzipien des Seins, die sich ergänzen oder sich feindlich gegenüberstehen (z. B. Gott – Welt; Leib – Seele)

Die Türme

Der Heilige Augustinus soll einmal über sich selbst geschrieben haben: “In deinen Augen, Herr, mein Gott, bin ich mir zum Rätsel geworden!” (Conf. X 33,50).
Rätselhaft ist auch der Fensterausschnitt auf dem obigen Altargemälde, der den Blick freigibt auf einen sich hinaufschlängelnden Weg und eine Stadt mit vielen Türmen.

Handelt es sich um Jerusalem? Gut möglich. Sogar sehr wahrscheinlich, wobei Augustinus auch hier die Gegenpole erkannte: Jerusalem verstand er als “Reich der caritas”, der Liebe, Babylon hingegen als “Reich der cupiditas”, der Habsucht und Geldgier.

Auch im Rätsel von Rennes-le-Château, (unweit von Limoux) stoßen wir auf einen auffälligen Turm: Den Tour Magdala, erbaut vom damaligen Pfarrer Bérenger Saunière. Maria Magdalena, eine frühe Anhängerin von Jesus, stammte bekanntlich aus Magdala (Migdal).
Migdal (hebräisch) bedeutet wie Magdala (aramäisch) Turm, Wachturm, Zitadelle – aber auch Fischturm: Migdal Nunayya). Nun, Migdal liegt am Westufer des fischreichen See Genezareth. Das Fischsymbol in der christlichen Tradition kennt heute jeder. Der Blick auf die Türme im Altarbild könnte zugleich ein Blick auf die Türme von Magdala sein. Das Große und das Kleine …

Links: Dieses dramatisch anmutende Gemälde, auf dem eine verzweifelte Maria Magdalena das Kreuz wie einen rettenden Turm umarmt, hängt ebenfalls in der Kapelle der Augustiner.


Übrigens, auch die Heilige Barbara (Portal am Eingang) wird stets mit einem Turm dargestellt. Doch dahinter steckt eine andere Geschichte …

Ein weiterer Deutungsversuch in Sachen Altargemälde, anhand einer lateinischen Inschrift:
“HINC LACTOR AB UBERE”

Unterhalb des kleinen Fensters befindet sich eine lateinische Inschrift, die neugierig macht: HINC LACTOR AB UBERE. Übersetzt heißt dies: “Ich nähre mich an ihrer Brust”. Es soll sich um eine mariologische* Aussage handeln. Bedeutet dies, dass es sich bei der stillenden Jungfrau (auch Isis wurde früher so gezeigt) um eine “Maria-Lactans-Darstellung” handelt? Um einen Hinweis des unbekannten Malers auf den Heiligen Bernhard von Clairvaux (1090-1153), den berühmten Kreuzzugsprediger? Der Legende nach war Bernhard von Maria mit einigen Tropfen Milch “erquickt” worden, worauf ihm eine “honigfließende Beredsamkeit” zuteil wurde.
Ein Zusammenhang besteht: Bernhardt von Clairvaux folgte der Prädestinationslehre* des Kirchenvaters Augustinus.

*Die Mariologie (die Lehre von Maria) ist ein Teilbereich der katholischen Dogmatik, die sich mit Maria, der Mutter Jesu befasst.
** Die Prädestination ist die Lehre von der Vorherbestimmung als Gottes unabänderlicher Ratschluss.

Der Isis-Knoten –
Ein letztes klärungsbedürftiges Detail auf dem Altargemälde

Ein letzter Blick noch auf den Lendenschurz des Gekreuzigten: Diese auffällige Knotenart war bereits bei den Ägyptern als heiliges Symbol bekannt. Man nennt ihn heute den “Isis-Knoten”. Er stellt in der Kunst eine Allegorie für das Heilige dar. Viele berühmte Maler griffen bei ihren Kreuzigungsdarstellungen darauf zurück, z.B. Caravaggio (“Kreuzabnahme”). Auch Maria Magdalena (Bild rechts) wird in der Kunst manchmal mit dem Isis-Knoten um den Leib dargestellt.

Eine kleine Schlussbemerkung

“Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle”, hat Albert Einstein einmal gesagt. Die südfranzösischen Kirchen stecken voller Geheimnisse, voller Mystik, und das Spannende daran ist, dass sich jeder Besucher selbst am Versuch einer Deutung beteiligen kann, wenn er das möchte.
Zum Schluss noch zwei eher stimmungsvolle Fotos aus Limoux, mit denen ich mich herzlich für Ihr Interesse bedanken möchte!


Weitere magische Geschichten über Limoux? 

Die Mönche der Abtei Saint-Hilaire und die Blanquette de Limoux

Limoux (Aude) – und die Madonna ohne Kopf

Zusätzliche Quellen:
Rennes-le-château-archive com
Emmanuel Le Roy Ladurie, Die Bauern des Languedoc, Stuttgart 1983
//symboldictionary.net/?p=531

 

Die Templer von Campagne-sur-Aude

Im Mittelalter war Campagne-sur-Aude eine Niederlassung der Tempelritter …

Campagne-sur-Aude liegt in Südfrankreich, in der Region Okzitanien, ungefähr 35 km von Carcassonne entfernt (der Hauptstadt des Départements Aude). Der kleine Ort liegt inmitten von ausgedehnten Weinbergen und Weingärten, am schattigen Ufer des Flusses Aude.

Das Besondere an Campagne-sur-Aude ist eine kreisrunde Befestigung im Zentrum des Ortes:
Früher eine Festung im Dorf – heute ein Dorf im Dorf – das aber noch immer “le Fort” genannt wird.

Die ehemalige Templerburg, die eine Kirche beherbergt, diente den Rittern als Wohnsitz. Der Donjon (Wohnturm) ist der heutige Glockenturm.
Das Ensemble war einst von tiefen Gräben umgeben.

Im 14. Jh. wurde der Orden der Tempelritter aufgelöst und sein Besitz ging an die Hospitaliter über.
Doch erst vierhundert Jahre später riss man die ehemalige Festung ab. Die Dorfbewohner übernahmen das Terrain und bauten auf den Resten ihre Häuser. Aus den Gräben wurden Straßen.

Das charakteristische Erscheinungsbild der “runden” Templerfestung blieb bis heute erhalten!

Ein alter Brunnen, geheimnisvolle Zeichen und der letzte Tempelritter von Campagne-sur-Aude …
(die Fotos zum Vergrößern bitte anklicken!)

Links – ein wenig versteckt! – der Eingang zum alten Brunnen,
oben der Eingang zur Kirche.

(Das achtspitzige Kreuz der Hospitaliter am Brunnen (s. Foto unten) – unterscheidet sich vom Tatzenkreuz der Templer!)

Impasse des Chevaliers – Die Sackgasse der Ritter

Heute ist Campagne-sur-Aude ein Dorf mit gut 600 Einwohnern, man verkauft u.a. Bio-Fleisch (Lamm und Kalb) und baut die begehrte Champagner-Traube namens “Blanquette” an, mit der sich schon die benachbarte Stadt Limoux einen ausgezeichneten Ruf erworben hat.
Das wohl beliebteste Ausflugsziel in der Nähe ist Rennes-le-Chateau.

Wer die Geschichte des “verrückten” Pfarrers von Rennes-le-Chateau noch nicht kennt, dem empfehle ich wärmstens meinen Roman
“Marie: Die Erbin des Grals”
.

Aber dies nur ganz am Rande …

Vielen Dank für Ihr Interesse!

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