Taulis, Belpuig und SOPHIA, die Weisheit …

Ein Pyrenäenerlebnis der besonderen Art

Am 17. September 2013 machte ich mich von Prades aus auf den Weg nach Marcevol, um dort für meinen Thriller “Salamandra” zu recherchieren und einige Aufnahmen zu machen. Danach ging es weiter bergauf, Kehre um Kehre – bis nach Taulis, einen nur 50 Einwohner zählenden, verschlafenen Ort, der mit der Jakobsmuschel wirbt. Doch leider war die Kirche, die ich mir hatte ansehen wollen, verschlossen. Auf der Weiterfahrt in Richtung Prunet et Belpuig kam es dann zu einer “Pyrenäen-Begegnung der unheimlichen Art”, die übel hätte ausgehen können. Ich zockelte bergauf und hielt sofort rechts an, als sich eine Bergziegen-Familie anschickte, die schmale Straße zu überqueren. Plötzlich kam ein irrer Lastkraftwagenfahrer von oben mit hoher Geschwindigkeit um die Kurve gebrettert. Direkt auf die Tiere zu. Ich rechnete schon mit dem Schlimmsten, doch das riskante Ausweichmanöver, das der Fahrer vollzog, gelang. Die armen Ziegen hingegen waren nach diesem Beinahe-Unfall unübersehbar fertig mit der Welt! Die Vorhut, die sich mit einem mutigen Satz in Sicherheit gebracht hatte, kauerte keuchend in den Felskuhlen auf der anderen Straßenseite, während die Nachzügler mitten auf der Straße liegenblieben, ebenfalls laut schnauften und sich nicht mehr vom Fleck bewegten. (Vielleicht dankten sie ja in diesem Moment dem “Hörnergott Cernunnos” für ihre Rettung, wer weiß! 🙂 )
Der Laster war längst in Richtung Tal verschwunden, ich stand und wartete. Aber ich hatte es nicht eilig. (Habe ich auf Reisen eigentlich nie.) Ich befürchtete nur, dass sich ein weiterer Irrer von oben auf den Weg ins Tal machen könnte. Aber alles blieb ruhig. Es dauerte seine Zeit (eine gute halbe Stunde) bis sich die Tiere vom Stress erholt hatten. Dass sich schließlich die Leitziege bei mir für meine Geduld bedankte, indem sie sich – in Fotopose! – direkt vor meinen Wagen stellte, bevor sie mit ihrer Entourage davonjagte, entschädigte mich für den Schrecken, den dieser unverantwortliche Fahrer uns eingejagt hatte.

Prunet et Belpuig – ein Besuch bei der “Heiligen Geistin”

Prunet-et-Belpuig ist eine ähnlich kleine Gemeinde wie Marcevol und Taulis. Alle drei Orte liegen in Südfrankreich, im Département Pyrénées-Orientales, in der Region Okzitanien. Belpuig gehört zum Arrondissement Prades und zum Kanton Le Canigou. Mein Ziel war die romanische Kapelle de la Trínité, von der ich gelesen hatte und deren Ursprung in der Mitte des 10. Jahrhunderts liegt.

Die Dreieinigkeit von Prunet et Belpuig: Vater, Sohn und “Heilige Geistin”



“Sophia, die Göttin der Weisheit und des Anfangs”, so heißt es, soll bereits vor der Schöpfung existiert haben und zwar “in der Finsternis des Chaos, das schwarz ist”. 
So erklärt es ein christliches Traktat aus dem 3. Jahrhundert mit dem Titel “Vom Ursprung der Welt”.
Sophia galt somit den Urchristen als die Repräsentation des Heiligen Geistes, der “auf dem Wasser schwebte” und “Licht in die Welt” brachte, als es “finster auf der Tiefe” war (Genesis, 1,1).

(Auch in Deutschland lässt sich eine “Heilige Geistin” finden, nämlich in Urschalling (Chiemsee). Sie wurde im Jahr 1923 entdeckt. Die Zeitschrift “efi” schrieb 2007 darüber: “Es ist eine Einladung zur Meditation über das weibliche Göttliche, Assoziationen zur göttlichen Weisheit – Sophia – liegen nahe.”)

Die Romanische Madonna von Belpuig mit buddhistischer Fingerhaltung

Die Romanische Madonna von Belpuig trägt Rot, ein Zeichen des Alters der Figurine vermutlich aus dem 11./ 12. Jh., als es sich noch nicht durchgesetzt hatte, Maria im blauen Gewand als göttliche Himmelsmutter darzustellen.
Romanische Madonnen haben oft übergroße und mitunter weißbemalte Schutzhände, s. mein Artikel über Le Puy. Diese Hände werden “Hände des Lichts” genannt.
Die Romanische Madonna von Belpuig hingegen (rechts im Bild) tanzt diesbezüglich aus der Reihe:
Ihre merkwürdige Fingerhaltung – ein aufmerksamer Leser hat mich verständigt –  entspricht wohl dem Hongsasya-Mudra der Buddhisten –was nicht so abwegig ist, wie es sich anhört: Der Ursprung des Glaubens der christlichen Katharer (11.-13. Jh.) geht nachweislich auf den persischen Propheten Mani zurück, der im 3. Jh. n. Chr. das Denken von Zoroaster, Buddha und Jesus zusammengefasst hat.



Im Jahr 2015 entdeckte ich eine weitere Madonna mit einer ähnlichen Finger- oder Handhaltung (Daumen berührt Zeigefinger) und zwar in Ainsa, einer sympathischen nordspanischen Kleinstadt in der Provinz Huesca/Aragón, umgeben von herrlichen Felsformationen: Der alte Ortskern mit seinem Hauptplatz (Plaza Mayor) wurde als Kulturgut eingestuft. Die Romanische Madonna steht in der 1183 geweihten ehemaligen Kollegiatskirche Santa Maria.

Foto links – die Mudra-Geste (wie bei einer tantrischen Tänzerin)

Vielen Dank für Ihr Interesse!

Die Basilika Notre-Dame de Marceille
und das fehlende “yod”

Vorweg genommen:
Notre-Dame de Marceille
hat mit der Stadt “Marseille” nichts  zu tun!

Die einsam gelegene Basilika Notre-Dame de Marceille, die seit 1948 unter Denkmalschutz steht, findet man ein Stück außerhalb der südfranzösischen Kleinstadt Limoux, in der Nähe des bekannten Bergnestes Rennes-le-Château. Sie liegt in der Aude-Region, einem uralten Siedlungsgebiet.
Der Ortsname “Marceille” soll sich von einer gallo-römischen Villa (einst im Besitz eines Marcellus?) ableiten. Diese könnte in der Nachbarschaft der heutigen Basilika gestanden haben.
Notre-Dame de Marceille wurde im 14. – 15. Jh. im Mozarabischen Stil erbaut, aber sie hat eine noch viel ältere Geschichte.

Inschrift der Sonnenuhr von ND de Marceille:
“Verflossene Stunden kommen nicht wieder
und Tote kehren nicht zurück.”

Notre-Dame de Marceille – Romanschauplatz

In meinem Roman “Die Affäre C.” besucht die Protagonistin Sandrine Feuerbach die Örtlichkeit und beschreibt ihre Eindrücke folgendermaßen:

“Die Kirche sah auf der Eingangsseite seltsam verbaut aus. Ein schmaler achteckiger, minarettartiger Turm sowie mehrere kleine Giebeltürmchen auf dem Schiff. Fenster, die eher an ein Wohn- als an ein Gotteshaus erinnerten … Als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkten wir, dass das Licht nur durch drei hohe bunte Glasfenster über dem Altar hereinfiel. An den Beichtstühlen vorbei, tasteten wir uns langsam nach vorne. Keine Menschenseele war zu sehen, es war geradezu unheimlich … Auf einem kleinen Tisch in einer Nische flackerten Kerzen. Wir kamen an alten, sehr dunklen Gemälden vorüber, auf denen man kaum Details erkennen konnte, betrachteten Heiligenfiguren, naiv-schöne Wandmalereien und Votivgaben von Pilgern – darunter ein schwerer Stein, der an einer eisernen Kette von der Decke hing –, dann zeigte uns S. ein Bodenmosaik … ein Pentagramm in einem gleichschenkligen Kreuz.
Über der Orgel hingen hölzerne Medaillons. Auf einem sei die Bundeslade – foederis arca – abgebildet, versicherte uns S. … Als wir das nördliche Querschiff betraten, ging plötzlich das Licht an. Gold blitzte uns entgegen, Gold wohin man nur sah. Hinter einem kunstvoll geschmiedeten Gitter und einer dicken Glasscheibe saß die Schwarze Madonna …

Notre-Dame de Marceille – ein früher Wallfahrtsort

Fromme Pilger zog es bereits früh an diesen Ort, weil sich dort eine heilkräftige Quelle befand (Linderung von Augenkrankheiten). Und nachdem Wunderquellen, Brunnen und Madonnen einander offenbar bedingen, entdeckte man im 11. Jh. in der Nähe der Quelle auch eine Schwarze Madonna. Die Legende berichtet, ein Ochse hätte sie beim Pflügen gefunden. Vom Bauern nach Hause gebracht, verschwand sie wieder. Ganze dreimal und immer über Nacht. Sie war erst zufrieden, als man ihr eine Kapelle mitten auf dem Feld baute. Seit dem Jahr 1280 ist Notre-Dame de Marceille als Wallfahrtsort bezeugt und machte Furore: Selbst katharisch-gläubige Frauen (Béatris – Kronzeugin der Inquisition) suchten diese Kirche auf (AD 1308), um die Madonna zu besuchen, zu beichten und dabei ihre “Rechtgläubigkeit” zu bekunden, wenn sie unter Beobachtung der Inquisition standen.

Die Schwarze Madonna von ND de Marceille,
(bevor Vandalen ihr 2007 den Kopf abschlugen).
(Näheres hierzu in meinem  Artikel “Schwarz bin ich, aber schön …)

Notre-Dame de Marceille
besticht nicht zuletzt durch die
Farbenpracht ihrer Wände,
Decken und Fußböden:

(Fotos zum Vergrößern bitte anklicken!)

NDMarceille2016a

Notre-Dame de Marceille – und das fehlende “yod”

In und unter dieser Kirche werden seit grauer Zeit verborgene Schätze, düstere Geheimgänge, verlassene Gräber und verschlüsselte Geheimnisse vermutet. Was ist davon zu halten?
Meine Romanheldin und ihre Freunde entdecken eines dieser Geheimnisse:

Die Statue hatte freundliche Augen, ein dunkelbraunes Gesicht unter Schleier und prachtvoller Krone, dazu ein anziehendes verschmitztes Lächeln, obwohl man sie eingesperrt hatte, damit sie nicht wieder davonlief … Wir kamen am Altar vorbei, dessen blaues Gewölbe mit unzähligen goldenen Sternen bemalt war, da hörte ich Steffi fragen: “Was ist denn das hier? Eine Marmorurne mit Schlüsselloch?” Sie stand in einem Seitenaltar und deutete auf einen kleinen weißen Schrein.

“Aber nein, das ist ein alter Tabernakel”, stellte Sokrates fest, “ein Aufbewahrungsort für geweihte Hostien … Das Dreieck darauf ist das Zeichen für die Dreieinigkeit, in seiner Mitte müsste sich das ´Auge Gottes` befinden … Attention!”, sagte er plötzlich … “da ist eine Gravur, hebräische Buchstaben … Seltsam”, er nahm eine der brennenden Kerzen, um besser sehen zu können. “Eigentlich müsste es sich um den Schriftzug JAWEH handeln, den Namen Gottes. Der Kranz außen herum stellt ganz eindeutig den Dornbusch dar, der brennt, aber nicht verbrennt … Doch es sind nur drei Zeichen vorhanden, also handelt es sich hier nicht um das Tetragramm des Gottesnamen! Merkwürdig … auf diesem Tabernakel fehlt der erste Buchstabe des Namens Jahwe, das ´yod`. Übrig bleibt ´Chawa` oder auch ´Chava`.

“Aber was bedeutet das?”

“Chava bedeutet Eve, Eva. Eva oder auch Leben, die Urmutter also.

“Aber wieso verehrt man hier Eva?”, fragte Steffi verwundert. “Ein Tabernakel sollte doch das Allerheiligste beinhalten, oder?”

Tabernakel-Inschrift in ND de Marceille,
(hebräisch von rechts nach links zu lesen)
Es fehlt das “yod” –
lesbar ist “Eve” oder “Eva”

Um mich abzusichern, habe ich die Buchstaben vor Ort abgepaust:
Kein “yod” vorhanden!

Fotos anklickbar zum Vergrößern!

Zum Vergleich die Tabernakel-Inschrift aus der Kirche
der nahegelegenen Ortschaft Quillan:
Hier ist das “yod” ist vorhanden:
Lesbar ist “Jahwe”

Ein zweites fehlerhaftes Tetragramm in Kanada

Die Sache mit dem fehlenden “yod”, ging mir nicht mehr aus dem Kopf, und ich hätte sie wohl nicht in meinen Roman einfließen lassen, wenn mir seinerzeit nicht eine Ausgabe von “Les Carnets-Secrets” (Nr. 4, Januar-März 2006) in die Hände gefallen wäre. In diesem Heft stand ein interessanter Artikel:
“Montréal, la Nouvelle Jérusalem: La survivance de l`idéal templier”, verfasst von Francine Bernier. Es geht darin um die Kathedrale von Montréal/Kanada, in der dasselbe Phänomen entdeckt wurde.
Francine Bernier schreibt darüber:

 “Von allen Hinweisen, die in Montreal gefunden wurden, ist der bedeutendste und aufschlussreichste ohne Zweifel der Tetragrammaton (heiliger Name Gottes in vier hebräischen Buchstaben, YHVH, der über der Kanzel der Basilika von Notre Dame, einem Besitz der Sulpizianer von Montreal, hängt. Dieses heilige Symbol stammt aus der ersten Kirche von Notre-Dame, die 1685 von und für die Herren von Saint-Sulpice, damals die einzigen Herren von Montreal, errichtet wurde. Fotos wurden von einem Dutzend Experten aufgenommen und analysiert, darunter Rabbi Dovid Shirel von Kfar Chabads Gal Enai Institut in Israel. Ihre Analysen konnten ohne möglichen Irrtum bestätigen, dass es nicht vier Buchstaben gab, sondern drei (HVH, und dass diese, ohne den Jod des Anfangs, das weibliche Wort chavah bilden, was Eva, Frau oder Mutter allen Lebens bedeutet. Mit anderen Worten, der Schöpfer ist weiblich, ein gnostisches und ketzerisches Konzept, das zweifellos die “verborgene Seite” der von Jean-Jacques Olier gegründeten Johanniterkirche darstellt.

 

Die Verfasserin Bernier merkt hierzu noch an, dass es sich beim fehlenden “yod” keineswegs um einen Fehler oder Zufall handelt, zumal sich in derselben Kathedrale (in der Kapelle der Heiligen Therese von Lisieux) ein zweites fehlerhaftes Tetragramm oberhalb der Kanzel befindet. Außerdem sei eine riesige Statue, die mit geschlossenen Augen daneben sitzen würde, “die Religion” darstellend, in Wirklichkeit eine Darstellung der androgynen Göttin Cybele, die mit Sophia (Weisheit) verbunden ist.
Cybele galt als “Mutter allen Lebens”.

Was hat nun Notre-Dame de Marceille mit Kanada zu schaffen?

Das Verbindungsglied ist ein französischer katholischer Priester: Jean-Jacques Olier. Er gilt als Erneuerer des religiösen Lebens im 17. Jahrhundert, gründete die Kongregation der Sulpizianer sowie das berühmte Priesterseminar St. Sulpice in Paris, welches auch im Rätsel von Rennes-le-Château eine Rolle spielt.
Im Jahr 1657 entsandte Jean-Jaques Olier Sulpizianer nach Montréal/Kanada für eine dortige Gründung. Ungefähr zeitgleich stand er in enger Verbindung mit dem damaligen Bischof von Limoux, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Notre-Dame de Marceille kontrollierte.

Die Kongregation der Sulpizianer war bekannt für ihre Marienverehrung.

(Maler unbekannt)

Kleine Schlussbemerkung

 

Nach S.G.F. Brandon, Religion in Ancien History, New York 1969, leitet sich die Buchstabenkombination JHWH, yod-he-vau-he, von der hebräischen Wurzel HWH ab – in lateinischen Buchstaben EVE, was sowohl “Leben” wie “Frau” bedeutet. Mit dem angefügten “yod” entstand angeblich das Wort, durch das die Göttin ihren Namen als Schöpfungswort anrief – eine in Ägypten und anderen Ländern des Altertums verbreitete Vorstellung.
***

Hat Jean-Jacques Olier, der Marienverehrer und Erneuerer des religiösen Lebens im 17. Jahrhundert, über den priesterlichen Tellerrand hinausgesehen?

Notre-Dame de Marceille, das fehlende “yod” und nicht zuletzt die Anwesenheit der Schwarzen Madonna könnten der Beweis dafür sein.

 
 

Links im Bild: “Die wundersame Quelle von Marceille”

Ans Herz gelegt:

Notre-Dame de Marceille als Romanschauplatz

Leseproben hier:
“Die Affäre C.”, Thriller,
“Béatris: Kronzeugin der Inquisition, Historischer Roman

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Helene Köppel